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Vor kurzem las ich in einem Artikel über „Gaslighting“, ein Phänomen, das mich schon seit Jahren fasziniert. Ich konnte nie genau in Worte fassen, warum ich als Jugendliche mit Begeisterung die Psychothriller von Joy Fielding verschlang, bis ich vom Begriff Gaslighting hörte. Da verstand ich, dass sich genau diese Thematik wie ein roter Faden durch ihre Bücher zog.
(Triggerwarnung: Einen roten Faden werden Sie in diesem Blogartikel nicht finden. Dies kann nach Leseende zu Groll und Unzufriedenheit führen.)
Gaslighting
Gaslighting ist eine Form von seelischer Gewalt. Sie ist eine Manipulationstechnik, bei der der Täter seinem Opfer die Wörter im Mund verdreht. Er spricht seinem Gegenüber seine Gefühle ab („Ich bin traurig“ – „So ein Quatsch, das bist du nicht.“) und wirft ihm unangemessenes Verhalten oder eine falsche Sichtweise vor. Das Opfer wird unsicher und hinterfragt sich ständig; es weiß nicht mehr, was es denkt bzw. denken soll und orientiert sich am „Gaslighter“.
Gaslighting lässt sich nur schwer zurückverfolgen. Der Begriff ist in den Staaten viel geläufiger, aber auch im deutschsprachigen Raum wird er immer bekannter. Die Psychoanalytikerin Robin Stern erklärt den Vorteil daran so:
„Was einen Namen hat, kann bekämpft werden.“
Das Kind beim Namen nennen
Dieser Satz hat großen Einfluss auf mich ausgeübt. Er fiel mir in anderen Zusammenhängen ein, die ich nicht mehr klar zuordnen kann. Diffuse Erinnerungen an Textauszügen aus Psychologie, Literaturwissenschaft und Soziologie überkommen mich, in denen irgendwo aufgetaucht sein muss, wie wichtig es ist, Dinge benennen zu können.
Was einen Namen hat, kann nicht nur bekämpft werden. Es kann – schlicht und ergreifend – beim Namen genannt werden. Das bringt Erkenntnis und Selbstreflexion, die hilft, die Welt und sich selbst besser zu verstehen. Was einen Namen hat, erweitert unseren Horizont. Wir müssen das Problem benennen können, um eine Lösung zu finden. Wir müssen ein Gefühl zuordnen können, um zu verstehen, was wir empfinden.
Mehr Worte, mehr Weitsicht
Irgendwie beginnt doch alles damit, Dinge beim Namen nennen zu können. Als Kind müssen wir erst einmal die Sprache lernen, um in Kontakt mit unseren Mitmenschen zu treten. Natürlich ist dies anfänglich auch durch Körpersprache und individuelle Laute möglich – aber entwickelt der Mensch seine Kommunikationsfähigkeit nicht weiter aus, bleibt er stecken.
Ein erweiterter Wortschatz hilft nicht nur beim Schreiben fiktiver Geschichten. Jeder Mensch hat eine Geschichte zu erzählen, oftmals erzählt er sich selbst eine Geschichte.
Die Worte, die wir beim Erzählen dieser Geschichten gebrauchen, beeinflussen unsere Wahrnehmung. Von uns selbst und unserer Umgebung.
Das Kind umbenennen
Es macht einen Unterschied, ob das letzte Familienfest als Katastrophe oder besondere Erfahrung abgestempelt wird. Ob die morgige Prüfung als Katastrophe oder Herausforderung eingeschätzt wird.
Oder ob ich einen Blogeintrag ohne roten Faden als Katastrophe oder Experiment betrachte.
Übrigens: In der Psychologie und Rhetorik steht sie für etwas anderes, doch in der Soziologie ist das Gegenteil von Katastrophe die Anastrophe: „eine umfassende oder lokale Wendung zum Besseren“ (Wikipedia).
Ein Ausdruck, den man doch gerne in seinem Wortschatz aufnimmt, nicht wahr?
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